Zum ersten Mal in eine fremde Wohnung zu kommen, das fasziniert mich immer wieder. Endlich Antworten auf die Fragen zu bekommen, wie genau die Freundinnen leben, deren unfehlbarer Kleidungsstil seit Jahren Neid erzeugt? Ob die Küche jenes Freundes, der mich mit seinen selbst gemachten Spätzle verzauberte, auf Restaurant-Niveau eingerichtet ist? Und ob sich im Zimmer des immer hilfsbereiten Notfall- Techies nur schwarzes Leder mit Chrom sowie surrende Blechkisten, Kabelsalate und Monitorwände befinden – oder vielleicht sogar ein paar Töpfe mit noch zur Photosynthese fähigem Grünzeug?
Dass ich kürzlich mehrmals umziehen musste, verhalf mir etwa sechs Monate lang zu dem Glück, gut und gerne dreißig+ fremde Wohnungen anschauen zu dürfen. Zwar nicht von Freunden, sondern von wirklichen Fremden – aber das hat den Feldversuch “Lebenswelten Deutschland” durchaus nicht uninteressanter gemacht. Denn was für viele nach Stress und Ärgernis klingen mag, von vertaner Zeit einmal abgesehen, war für mich die Einladung zu öffentlich sanktioniertem Voyeurismus.
Meine erste Erkenntnis kam schnell � sehr schnell: Wenn die deutsche Durchschnitt-Wohnung so aussieht, wie die Exemplare, die ich besichtigt habe, dann ist es kein Wunder, dass schlechte Pisa-Studien-Ergebnisse, Unfreundlichkeits-Rekorde oder auch Jammer-Weltmeister aus unseren Landen kommen.
Beispiel 1: T., 38 J., sucht neuen Mitbewohner. Man nehme eine vom Schnitt her sch�ne kleine 3-Zimmer-Altbau Wohnung in einem roten Klinkerbau. Hohe Decken, gro�e Fenster und mit Sicherheit alte Dielen. Nur leider waren die urspr�nglich einmal hohen Decken abgeh�ngt und die Dielen unter einer dicken Schicht Teppich (pflegeleichtes mausbraun) versteckt �Gro�z�gigkeit wurde willentlich klein gemacht. Die K�che wirkte wie ein Sammelsurium von Sperrm�ll-Gaben. Kaum ein Glas hatte keinen Sprung und bei den St�hlen, die um eine aufgebockte, leicht durchh�ngende Weichholzplatte standen, wackelte jede nur m�gliche Verbindung. Die Kr�nung war jedoch das Wohnzimmer, das von zwei Gegenst�nden dominiert wurde. 1. einer riesigen, grauen 60er Jahre Ledercouch, die fast das gesamte Zimmer ausf�llte und die an vielen Ecken mehr als abgewetzt war. Und 2. ein wie ein Schrein angestrahltes Aquarium, ca. 100 Liter, mit vielen kleinen bunten Fischen. Sie waren so ziemlich das einzige Bunte in der gesamten Wohnung.
Nach den ersten Besichtigungen dr�ngte sich eine Frage regelrecht auf: Wie halten die Leute es aus, so zu wohnen, wie sie wohnen? Ich bin weit davon entfernt, der Design-Guru der jungen Generation zu sein. Auch habe ich ganzheitliches Wohnen nicht mit der Muttermilch aufgesogen (�ich war Flaschenkind). Aber ich habe doch zumindest Augen im Kopf und sehe, was farblich zusammenpasst und welche Materialien miteinander harmonieren. Und entsprechend: wie ich meine Umgebung zusammenstellen muss, um mich wohl zu f�hlen. Gerade kreative Menschen sollten daf�r eine Grundf�higkeit haben. Doch Kost�mbildnerin N., Anfang 30, belehrte bald mich eines Besseren.
Beispiel 2: Ns Wohnung war eine v�llig lieb- und stillos eingerichtete Butze. Mit Tapete, die nicht nur an einer Ecke abpellte und sich dazu mit unz�hligen Wasserflecken zierte. Mit PVC-Boden, den ein durchgetretener Sisalteppich halbwegs verdeckte � es aber doch nicht so ganz schaffte. Und mit derart verdreckten Fenstern, dass sogar mir auffiel, dass der Tag vor der T�r noch um einiges heller war. �weniger Patina ist manchmal mehr� Dar�ber hinaus war der stilistische M�bel-Mischmasch der Designerin nicht trendy, sondern einfach nur schrecklich. Und umso bedauerlicher, weil eigentlich nicht viel gefehlt h�tte, um aus den Einzelteilen eine wirklich sch�ne Wohnung zu gestalten. Ein paar der Jugendzimmer-Reminiszenzen wie das 90cm-Buchenfunier-Bett mit durchgelegener Matratze oder elterliche Erbst�cke wie ein auf drei Beinen stehendes, altdeutsches Telefonb�nkchen in Eiche dunkel kurzerhand aus dem Fenster geschmissen, neuen Teppich und neue Tapete rein, einmal die Fenster putzen. Et voil� � so sch�n kann wohnen sein.
Bei meinen Rundg�ngen durch die hiesigen, gro�st�dtischen Wohngelegenheiten tauchte immer wieder eine eigene Rasse auf: die Pseudo-Sch�ner-Wohner. Sie hatten es geschafft, zumindest ein Zimmer richtig nett einzurichten. Mal war es die K�che, mal das Gemeinschaftszimmer, mal das Bad. Der Rest � egal. Diese Momente geh�rten zu den hoffnungsfrohen meiner Odyssee, denn sie lie�en mir den Glauben daran, dass sich der Mensch an sich gerne mit sch�nen Dingen umgibt. Dass er eine Umgebung sucht, die ihm das Leben angenehmer machen. Unter meinen Wohnungen gab es zum Beispiel eine, deren Bad ich am liebsten sofort mitgenommen h�tte. Gro�, hell, mit gro�er, erh�hter Badewanne inklusive Wirlpool-D�sen, separatem Klo. (� nur die offene Dusche mit beheiztem Steinboden fehlte noch�) Ein Traum. Aber leider nicht Traum genug.
Nicht ganz ein Zehntel der Wohnungen, die ich angesehen habe, waren so, dass ich gerne eingezogen w�re: genau 3 St�ck. Mit Zimmern, die keiner Grundsanierung bedurften und dabei gro� genug waren, um keine Platzangst zu entwickeln. Mit einer selbstverst�ndlichen Gro�z�gigkeit, gem�tlicher und gleichzeitig frischer Atmosph�re. Es waren Wohnungen, die einen gewissen zeitlosen Stil ausstrahlten � ganz egal ob die Zimmer noch voll gestellt oder schon leer ger�umt waren.
Damit sich die Anzahl dieser lebenswerten Behausungen vermehrt, folgt nun ein Aufruf: Don�t keep up with the Joneses � please!!! Versucht also nicht so zu sein wie eure Nachbarn (es sei denn, sie geh�ren zu den zuletzt erw�hnten knapp 10%). H�rt stattdessen auf eure kreative innere Stimme und beweist den Mut, mit Gewohnheiten zu brechen. Denn �so war es schon immer� ist kein Argument, ebenso wenig wie �das ist bestimmt viel zu aufwendig�. Schlie�lich k�nnen schon mit ganz kleinen Mitteln sch�ne und neue Wohnwelten entstehen. �etwas Farbe hier � ein wenig umr�umen oder ausmisten dort � vielleicht noch ein neues Accessoire �
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