Seinen Blick gen Boden zu senken, ist eher ungewöhnlich in einer Stadt wie Hongkong, die sich unter anderem durch ihre Wolkenkratzer und die Skyline auszeichnet. In die Höhe gesogen hält sich das Auge fest an Glas, Stahl, Beton, den Bahnen der Sonne, die sich ihren Weg durch die Häuserschluchten suchen; oder es verliert den Halt im Nebel, der die Spitzen der Häuser im Nichts verschwinden lässt. Hier auf Hong Kong Island liegt der Mittelpunkt des Territoriums Hongkong – wenn nicht geographisch, dann doch zumindest dem Namen nach („Central“) und was die Huldigung des großen Geldes angeht … wie bereits vor 20 Jahren in der Romanverfilmung von James Clavells „Noble House“ gezeigt wurde. In diesem Mittelpunkt Hongkongs gilt: je höher, je besser; je extravaganter, je besser; je exklusiver, je besser.
Es ist das Hongkong, das sich von seiner internationalen Seite zeigt und sich dabei von anderen internationalen Großstädten nur bedingt unterscheidet. Eine Luxusboutique jagt die andere. In jedem der Hochhäuser befindet sich gefühlt mindestens eine mehrstöckige Mall … deren Läden mit freundlichen Grüßen von Armani, Prada und Louis Vuitton gefüllt werden. Und um den Weg von Mall zu Mall zu verkürzen, sind die Hochhäuser durch Fußgängerbrücken auf einer zweiten Ebene verbunden. Zur Mittagszeit strömen dann Tausendschaften von grau gewandeten Damen und Herren aus den Bürotürmen zu Lunchtreffen, nur um kurz darauf mit einem „Coffee to go“ ins nächste Meeting zu eilen. Das Aussehen der Menschen, die in diesem Bezirk herumlaufen, kann nur als „uniform international“ bezeichnet werden. Egal ob New York, London, Paris, Hongkong, egal ob „gelb“, „schwarz“ oder „weiß“: Die Menschen in diesen Geschäfts-Zentren der Welt wirken schlicht schrecklich austauschbar.
Doch sobald man auch den Boden in sein Blickfeld mit einbezieht wird eindeutig klar: hier ist Asien. So haben zum Beispiel in Soho (für „South of Hollywood-Road“) von Antiquitäten-Läden bis zu Souvenir-Shops die meisten Händler kleine Opferstätten draußen vor der Tür stehen. Diese bestehen in der Regel aus einem rot-goldenen Gefäß, in dem Räucherstäbchen abgebrannt werden, und einer kleinen Tafel mit Schriftzeichen.
Nicht ganz so dezent wird in den Tempeln der Stadt geopfert. Je mehr Rauch, desto besser scheint hier das Motto zu sein.
Beispiel Man Mo Tempel. Neben den Dünsten der Lackfarben, mit denen das Gebäude gerade renoviert wird, hängen von den Decken „Räucherschnecken“, die, lampenschirmgroß, dort Runde um Runde herunter brennen. Dazu kommen noch die regulären Räucherstäbchen, die in mit Sand gefüllte Schalen gesteckt werden. Wie an den Opferstätten auf der Straße sind die Hauptfarben auch innerhalb des Tempels Rot und Gold. Der gemeine Westler entwickelt (trotz Hitze, dickbäuchigen Keramik-Figuren oder Bronze-Statuen von Hirschen und anderen Tieren) daher fast weihnachtliche Gefühle. …aber nur fast…
Die Besucher des Tempels sind eine interessante Mischung aus Einwohnern, die auf dem Weg nach wohin-auch-immer kurz zum Beten vorbeikommen, Bussen voller Touristen, die hier für eine viertel Stunde abgesetzt werden, und den einzelnen Neugierigen, die den Walking-Tours ihres Lonely Planets zumindest eine Chance geben wollen. Der Vorteil all dieser Gruppen: innerhalb kurzer Zeit können sie wieder an die (zumindest verhältnismäßig) frische Luft vor dem Tempel. Die Restaurateure oder auch die Dame, die im Vorraum des Tempels die Räucherstäbchen verkauft haben diese Möglichkeit nicht. So ist nicht verwunderlich, dass sie nur mit Atemmasken an ihren Arbeitsplätzen ausharren.
Wie sich andere Viertel Hongkongs von Central unterscheiden – das steht demnächst an dieser Stelle.
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