Die Temperaturen klettern, Jesus ist auch in diesem Jahr wieder auferstanden – und der Rest der Welt läuft und läuft und läuft. Ohne Unterlass. Als Kollektiv. Die Rede ist von den Schönwetter-Joggern, die sich nun wieder aus Wohnungen und Fitness-Studios trauen, seit die Frostgrenze nachts nur noch selten unterschritten wird. Es sind dies jene Menschen, wegen derer es in Kürze nicht mehr möglich sein wird, gemütlich an der Alster entlang zu radeln, ohne vorher zehn Versicherungen gegen Zusammenstöße und Unfälle mit Hobbysportlern abgeschlossen zu haben. Doch ehe der Blick auf ihre Motivation fällt, noch eine kurze Kategorisierung der öffentlichen Läuferwelt: Denn die sah vor kurzem noch ganz anders aus.
Kaum vier Wochen ist es her, dass unsere Republik unter Schneemassen begraben lag. Die Uniform der Wahl bestand als Daunenmänteln und Mukluk-Stiefeln, erstere bevorzugt aus Polyester in grau oder schwarz, letztere unter allen Umständen mit Bommeln. Das Gros der Menschheit hielt sich am liebsten in der Nähe von Heizungen und Öfen oder in Saunen auf. Wenige trauten sich freiwillig in die Kälte, denn allzu schnell tränten Augen, liefen Nasen und verfielen Fingerspitze
n in Winterstarre – um später dann schmerzhaft wieder aufzutauen zu müssen. Doch eine Spezies Mensch forderte Aufmerksamkeit. Immun gegen all jene Wehwehchen, die die Winterkälte regelmäßig verbreitete, wärmten sich lieber selbst, von innen. Die Rede ist von den Ganzjahres-Joggern – Sportlern, die es nicht schaffen, selbst bei extremstem Wetter, bei Eisregen oder 12° minus die Laufschuhe in der Ecke stehen zu lassen. Vereinzelt konnte man sie den ganzen Winter über durch die verschneiten Stadtparks rennen sehen, die Kleidung brav mit Licht reflektierenden Streifen verziert, zi
erliche Hauchwölkchen vor sich herpustend.
Bald darauf gesellte sich eine zweite Gruppe zu den von vielen für verrückt erklärten Extremsportlern. Es ist die Gruppe der Genießer, die die körperliche Ertüchtigung im Winter nicht aufgibt und doch auf den Straßen nicht sichtbar ist. Sobald eine bestimmte gefühlte Temperatur erreicht ist, verzieht sie sich zum Sporteln lieber hinter verschlossene Türen und in geheizte Räume. Bewegung ist ihnen kein Zwang, sondern Lust. Und wenn sie eben mal keine haben, gegen den Winterspeck anzukämpfen, dann gestatten sie sich auch diesen Luxus. Blitzt die Sonne allerdings nach allzu langen Grauhimmel-Phasen mal wieder durch die Wolkenrisse, dann nutzen sie die Gelegenheit und nichts hält sie im Haus.
Noch andere bilden die dritte und letzte Läufer-Kategorie – und schließen den Kreis zu den notwendigen neuen Versicherungen. Es ist die Spezies der saisonal Sportiven. Ihre Motivation zur körperlichen Ertüchtigung ist rein äußerlich bestimmt und ebenso ganz und gar nach außen gerichtet. Schön sein, zur In-Crowd gehören, gesehen werden und schöne Augen machen, joggen, weil joggen gerade Modesport ist und sich vielleicht sogar auf einen Marathon hinquälen – weil es gerade Mode ist, Marathon zu laufen. In knappe Leibchen gehüllt präsentieren sie sich aller Welt – ob die Welt sie nun sehen möchte oder nicht. So sind die klassischen Jogger-Strecken mittlerweile nichts anderes, als die neuen Fisch-sucht-Fahrrad-Gefilde; die städtischen Freiluftgelände und Grünflächen eine einzige Kuppelbörse. Sonst wäre es doch nicht zu erklären, dass (laut GfK) 2005 rund 17 Millionen Läufer in Deutschland unterwegs waren, 100 000 sogar Marathon liefen! Bleibt den partnersuchenden Läufern nur viel Glück zu wünschen, dass zwischen Schweiß, Ipod und ausgelatschten Asics genug Atem bleibt, um sich zumindest ein wenig austauschen zu können. Und den Radfahren, dass sie eine laute Klingel haben!
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