Keine Frage: Venedig ist wie ein Mensch. Ob eher Mann oder Frau liegt im Auge des Betrachters und an denjenigen Leuten, die er kennt – doch „La Serenissima“, die „Allerdurchlauchtigste“, wie Venedig auch genannt wird, kann in sich, ihrer Architektur, oder auch ihrem Charakter, menschliche Eigenschaften nicht verbergen. Die Täuschungen, die die Häuser vollführen, wenn sie sich im Wasser spiegeln. Die Gässchen, die nicht weiterführen und zu Sackgassen werden – sei es durch Häuser oder Kanäle. Andere Wege in diesem Labyrinth aus Stein und Wasser wiederum, die zunächst so aussehen, als führten sie ins Nichts, doch letztendlich genau den Weg weisen, der einen zum Ziel kommen lässt. Was ist Schein, was echt? Wo hört die Realität auf und wo fangen die Reflexionen an?
Tatsache ist, dass die Stadt zum Flanieren verlockt. Sie verlockt, sich zu verlieren im Gewirr der Wege, die mal Via mal Calle mal Ruga mal Fondatione heißen. …und vermutlich nur ein Zugeständnis an den nicht enden wollenden Touristen-Strom sind, der sich nach der traditionellen Adressgebung, die aus dem Namen des Viertels sowie einer Nummer besteht, wahrscheinlich noch weniger zurechtfinden würden, als dies sowieso schon der Fall ist. Sie verlockt, sich treiben zu lassen, sich bewusst von den Haupttraversen abzuwenden, die Ameisenstraßen gleich, am übermäßigen Aufkommen der internationalen Besucher zu erkennen sind. Sie verlockt ebenfalls, sich Zeit zu nehmen, um einfach einmal eine halbe Stunde am Geländer einer kleinen Brücke lehnen und dem Treiben der Gondoliere und ihrer Frachten zuzuschauen. Oder seine Gedanken schweifen zu lassen und über sich selbst und das Leben, Gott und die Welt nachzudenken – im Angesicht der scheinbaren Zeitlosigkeit der Häuserschluchten, von denen viele gut und gerne schon vor fünfhundert Jahren in gleicher Fasson an gleicher Stelle gestanden haben mögen.
Besonders faszinierend ist es, das Straßengewirr bei Nacht und Nebel zu erkunden – im wörtlichen Sinne. Gedämpfte, murmelnde Stimmen, die einem aus dem Nichts entgegen klingen. Phantome, die ein paar Meter entfernt vorbeihuschen, um kurz darauf wieder im Nebel zu verschwinden – als seien sie nur eine Erscheinung, eine Fata Morgana gewesen. Die Stadt strahlt unterdessen, durch die vielen Lampen und Strahler an Kirchen, Häusern und Kanälen in ein unwirkliches milchiges Gelb gehüllt.
© Dorothee Schwarz
In Venedig werden selbst die abgebrühtesten Realisten wieder zu Romantikern und wie Kinder, die mit großen Augen das Staunen wiederlernen. Egal wie sich das Wetter gibt, ob strahlend sonnig oder verregnet, eiskalt und klar oder neblig trüb – Die Schönheit der Stadt ist schlichtweg überwältigend. Sie nimmt jede Wetterlage spielerisch auf und vereinnahmt sie, um daraus eine ganz eigene Stimmung zu erschaffen. Melancholie und überschwängliches, frühlingshaftes Gebaren liegen so ganz dicht beieinander, nur durch einen Wetterwechsel getrennt.
Eines der ungewöhnlicheren Spektakel findet sich auf dem abendlichen „Straßenstrich“. Damit sind jedoch keine käuflichen Damen gemeint, wie sie schon zu Zeiten von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ an der „Ponte delle Tette“ um Freier buhlten. Gemeint sind jene Schwarzafrikaner, die sich tagsüber nicht im Stadtbild finden, bei Einbruch der Dunkelheit aber ihren eigenen Markt eröffnen und ikeataschenweise Handtaschen (bei schlechtem Wetter alternativ auch Regenschirme) auf den Gassen zwischen San Marco und der Rialtobrücke feilbieten. Interessant ist dabei ihre sehr ausgewählte Verkaufstaktik: Sie sprechen fast ausschließlich Frauen mittleren Alters an, die ihre Pelze spazieren tragen. Oder solche, die bereits mit diversen Taschen der zahlreichen Nobelboutiquen des Viertels ausgestattet sind.
© Dorothee Schwarz
Ein weiteres Phänomen könnte die Überschrift „Kleinstadt-Safari“ tragen. Insbesondere tagsüber ist es fast unmöglich, auf den Straßen Menschen zu finden, die nicht mit mindestens zwei Kameras ausgestattet sind. Viele lassen sie in guter alter Manier auf ihrem Bauch baumeln. Nicht schön, aber zweckmäßig. Andere folgen einer neuen Mode: Sie befestigen ihre Haupt-Kamera auf einem Stativ, das sie leger über ihre Schulter drapieren. So läuft man durch Venedig und denkt sich zunächst: Glücklicher Fotograf – mit Stativ kann er bestimmt wunderschöne Aufnahmen auf seinen Chip bannen. Bis einem der Nächste mit Stativ begegnet. Und der Nächste. Und der Nächste. Und der Nächste…
© Dorothee Schwarz
Reisetipps für Venedig zu geben, die über „lass Dich treiben“ hinausgehen, ist nicht notwendig. Die kulturhistorisch wichtigsten Punkte ziehen magnetisch an, kein Besucher kann ihnen entgehen: die goldenen Mosaiken des Markusdomes; die luftige Fassade des Dogenpalastes; die Fahrt auf dem Canal Grande; die Rialtobrücke; das Gartengebiet der Bienale in Verlängerung der Riva degli Schiavoni, etc. Alles andere sei der Spontaneität und der Stimmung der jeweiligen Minute überlassen. Die unzähligen Kirchen, die Trattorie und Osterie, Plätze und Uferpromenaden, die verschiedenen Museen und Galerien, Palazzi und Theater: sie alle sind einen Besuch wert. Nur für Theaterinteressierte an dieser Stelle noch ein Tipp: Der Besuch des 1996 abgebrannten und mittlerweile wieder aufgebauten La Fenice ist ein Muss. Und wer keine Aufführung erleben kann sei geröstet: Die Audio-Führung, die täglich zwischen 13.15h und 14h angetreten werden kann und kapp eine Stunde dauert, ist exzellent!
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