Die Sonne brennt. Es ist keine 11h und die ersten Krankenwagen flitzen durch die Straßen, um Hitzezusammenbrüche und Sonnenstiche zu behandeln. Das Gros der sommerlichen Schnäppchenjäger hält diese Tatsache allerdings nicht davon ab, sich über sonnendurchflutete Plätze und durch ebensolche Straßenzüge zu schieben, um mal lauthals, mal abwartend und abschätzend, das meist gebrauchte und aussortierte Hab und Gut fremder Menschen in Augenschein zu nehmen. Es ist Flohmarktzeit im Norden der Republik. Und die Märkte könnten unterschiedlicher nicht sein.
Samstagmorgen, Barmbek, Markt der Kulturen. Die unbehandelten Holzbretter der fest installierten Stände biegen sich unter der Last der Waren, die sie tragen. Neben bergeweise aufgeschichteter Kleidung finden sich hunderte Duschköpfe – Neuware – und daher eigentlich nicht zugelassen. Aber niemand schert sich darum. Unzählbare 3er-Unterhosenpacks für Männer wollen ver- und gekauft werden. Alte Kassetten und Kabel schwitzen bereits seit einigen Stunden vor sich hin. Keiner der Passanten verliert auch nur einen Blick auf die lieblos präsentierte Ware, und die Verkäufer kümmern sich nicht darum, Kunden anzuziehen; lieber vertreiben sie sich die Zeit bei einem Plausch mit dem Nachbarn – oder einer Tasse Tee en famille, die meist im Hintergrund unter Schirmen oder Planen sitzt und wartet. Jede Anstrengung wäre eine Anstrengung zu viel. Das Thermometer nähert sich rapide der 30° C-Marke.
Kurz darauf suchen die weniger professionellen Händler ihr Glück. Im Schatten einiger Büsche sitzen sie auf kleinen Holz-Schemeln oder kauern mit angezogenen Knien auf karierten Baumwolldecken, auf denen sie ihre Schütze ausgebreitet haben. Ein paar stumpfe Wassergläser mit eingravierten Blumen und ein Wasserkocher der ersten Generation liegen da neben einzelnen Playmobil-Figuren, alten Stoffen oder ein paar ausgewaschenen T-Shirts. Winterliche russische Märkte erscheinen vor dem geistigen Auge, auf denen alte, hutzelige Frauen versuchen, ein paar Kartoffeln oder Rüben zu verkaufen. Auch wenn die Verkäufer so aussehen, als hätten sie es dringend nötig: viel Geld werden sie nicht einnehmen…
Etwa vierzig Meter weiter ändert dich das Bild ein weiteres Mal. Blaue Container reihen sich nun aneinander und formen mehrere, schnurgerade Gänge. Sie muten an wie eine Reihenhaus-Siedlung, in deren Vorgärten Keller und Garagen durchsortiert werden. …nur noch der Jägerzaun fehlt… “Ist das Rad denn heil?” fragt ein Mann einen Jungen, der sich gerade mit einer Luftpumpe am Vorderrad eines alten, einfachen Damenrads in weiß zu schaffen macht. “Na selbstverständlich. Deswegen pumpe ich es ja auf!” Bestechende Logik des Kindes… Später steht das Rad noch immer auf derselben Stelle, beide Reifen platt. Der Junge sitzt unter einer Plane ein paar Meter entfernt und schaut gelangweilt dem geschäftigen Treiben zu.
Der Markt wird seinem Namen gerecht: sämtliche Kulturen und Nationalitäten, die in der Hansestadt leben, treffen sich hier beim Ausleben zweier ihrer Grundinstinkte: dem Jagen und Sammeln. Asiatische Verkäufer radebrechen mit arabischen Großfamilien über den Wert einer Lampe, Afrikaner beleben die Szene durch fröhlich-laute Kommunikation und ihre traditionelle, bunte Kleidung. Die harte Aussprache des ehemaligen Ostblocks tönt so regelmäßig durch die Menge, wie sich Ehrenabzeichen aus der Sowjetzeit in staubigen Papp-Kästchen häufen. Und wenn man Glück hat, dann findet man einen (möglicherweise) Bauhaus-Schreibtisch-Drehstuhl für 15 € – und vergisst aufgrund des niedrigen Preises zu handeln… Oder man könnte einen 50er-Jahre Küchenschrank für 10 € erwerben – kann ihn aber leider nicht mitnehmen, weil kein Lieferservice angeboten wird.
Eppendorf am Sonntagmorgen. Lehmweg. Am idyllischen Isekanal schlendern meist junge Familien, Pärchen oder Freundesgruppen zwischen den Flohmarktständen umher. Schmuck – seien es nun die Silberbrosche aus einem Nachlass oder die Plastikohrclips aus den 1980ern -, hochwertige und exklusive Markenkleidung der vorigen Saison oder professionell aufbereitete Antiquitäten bestimmen das Bild. Alles ist sehr geordnet, sehr sauber. Der Flohmarktbesuch tritt anstelle des Sonntags-Spaziergangs. Flanieren ist das Wort des Tages. Derweil sorgt ein Crepes-Stand für das leibliche Wohl und Kirsch- und Erdbeer-Stände für gesunde Snacks zwischendurch.
Auch hier gibt es einen Küchenschrank – Jugendstil – Kostenpunkt: 750 €. Ein Grammophon mit bemaltem Trichter ist für 350 € zu haben, ein Kontorstuhl aus den 1920/30ern für 340 €. So unterschiedlich die Lage, der Markt, die Präsentation – so unterschiedlich ist auch der Preis. Doch nicht alles am Isemarkt ist teuer, nur weil es eine gute Lage und die Atmosphäre exklusiv ist. Immer wieder – dort, wo sich die Trauben um die Stände bilden – sind die “normalen” Stände, meist von jungen Leuten, die Klamotten verkaufen. Zum Wegwerfen zu schade, aber doch auch nicht mehr im Eigengebrauch genutzt. Auch zu handeln ist hier drin. Und im Vergleich zu vielen der professionellen Händler, die sich am Rande des Kanals ausgebreitet haben, haben die echten Flohmärktler offensichtlich viel mehr Spaß an der Sache.
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