Konflikte zwischen Generationen gibt es vermutlich bereits solange es Generationen gibt. Ihre Vorzeichen haben sich allerdings geändert…
Eins vorweg: Ich liebe meine Familie. Sie ist der ruhige Hafen, in dem ich immer vor Anker gehen kann, wenn sich das Leben mal wieder als stürmisch und chaotisch erweist. Dafür bin ich dankbar. Doch manchmal frage ich mich, ob die Ruhe und Stabilität nicht auch für eine Mischung aus Lethargie und dem Verharren in alten Denkmustern sorgen kann, die uns nachwachsender Generation das Leben durchaus schwer macht.
„Eure Zukunft ist unsicher. Ihr verbringt Jahr ein Jahr aus mit Projekten oder zeitlich befristeten Jobs – und das obwohl ihr mehrere Studienabschlüsse und Auslandssemester absolviert habt. Ihr gründet keine Familie sondern bleibt lieber flexibel – wer weiß, ob nicht doch noch der perfektere Mann, die perfektere Frau oder der Traumjob an die Tür klopfen. In fünf, zehn oder zwanzig Jahren. Ihr sichert euch nicht ab. Euer Leben ist total unstet – und dadurch macht ihr mein Leben zur Hölle. Mit Kopf und Verstand ist mir klar, dass das für euch alles normal ist, dass die Zeiten heute halt so sind. Aber ich verstehe es nicht mit dem Herzen.“
Dieser Wortschwall traf meinen Bruder und mich vor Kurzen beim Heimatbesuch bei unseren Eltern. Gefühltes Tempo: 168 Silben in 30 Sekunden. Absender: unsere Mutter. Kontext: völlig aus der Luft gegriffen.
© Wilfried Schwarz
Durchaus erleuchtend war dieser seltene Augenblick des Frustablassens. Denn ich begriff auf einmal, warum meine ansonsten sehr geduldige und genügsame Mutter sich mit 61 Jahren noch immer hauptsächlich als eben genau das sieht – als Mutter. Und nicht als Frau im besten Alter, die nach Abschluss der Brutpflege mit meinem Vater um die Welt reisen und sich neue Interessen suchen könnte. Ihr großes Problem scheint also, dass ihre ureigene Lebensplanung für uns Kinder mit unserem eigenen Lebensalltag so gar nicht übereinstimmt.
Allein bei dem Gedankenexperiment, wie mein Leben heute aussähe, wenn ich der Wunsch-Vorstellung meiner Mutter gefolgt wäre, wird mir angst und bange. Mit 24 mit dem Studium fertig, direkt einen Job finden und bis zum Rentenalter behalten, dann innerhalb der nächsten zwei Jahre heiraten, eine Familie gründen und bis spätestens dreißig zwei oder drei Kinder in die Welt setzen.
Und dann…? An zeitlich begrenzte Arbeit bin ich gewöhnt und glaube gleichzeitig fest daran, dass der Traumjob noch kommt. Oder auch der Traummann. Versicherungen halte ich für rausgeschmissenes Geld. Und wie hätte ich mich guten Gewissens mit Mitte zwanzig für Kinder entscheiden dürfen? Ich weiß ja heute, mit dreißig, noch nicht wirklich, wer ich bin. Und was ich will, das finde ich Jahr für Jahr ein wenig mehr heraus. Mein Leben ist ein ständiger Prozess und ich wachse mit jedem Tag daran, mit jeder Reise, mit jeder neuen Bekanntschaft, mit jedem Projekt. Trotz all der Unsicherheit und Unstetigkeit, die dieser Prozess mit sich bringt, genieße ich ihn.
Eine nicht-repräsentative Umfrage in meinem Bekanntenkreis der um-die-30-jährigen ergab: Das Phänomen ist weit verbreitet – sowohl auf Kinder als auch auf Elternseite.
Da wäre zum Beispiel Sandra, die an Ausbildung und Arbeit Studium plus Volontariat gehängt hat. Mitte dreißig schwebt sie noch immer zwischen Männern, der Job ist mal besser, mal schlechter, aber sicher nichts für die Ewigkeit. Der Gedanke an eigene Kinder wird immer wieder nach hinten verschoben. Aber sie genießt ihr Leben. Oder Marcel, der endlich, mit dreiunddreißig, den seit Jahren angestrebten Job ergattert hat – immerhin auf zwei Jahre und nicht auf eins befristet. Aber hey – wenn schon nicht sicher bis in alle Ewigkeit und ohne grandiose Bezahlung, so ist es doch der Traumjob, eine neue Stadt gibt’s zu entdecken und der Mietvertrag für die 90 qm Altbauwohnung ist auch schon unterschrieben. Oder Tina, 32, die vor etwas über einem Jahr entschieden hat: Ich will weg hier, der Job nervt und die Männer sowieso. Also den nächsten Flug gebucht und ab nach Australien, wo sie mit gutem Job und Haus mit Blick aufs Meer derzeit glücklich ist. Wie lange – das ist erst einmal egal. Das Jetzt zählt. Und das Arbeitsvisum ist noch vier Jahre gültig.
© SXC
Die Elternseite verhält sich zwar meist unterstützend, ist aber trotzdem in hohem Grade verwirrt oder manchmal auch schlicht überfordert mit der Situation, in der sie sich findet. Sie fragt sich, was nicht stimmt mit einer Gesellschaft, in der ihre Kinder die familiär weitergereichten Werte nicht so leben können, wie sie es sich ausgemalt haben. Fragt sich, warum das Leben der Kinder rund 15 Jahre nach der pubertären Rebellion noch immer nicht in ruhigeren Bahnen läuft (und würde wahrscheinlich den pubertären Generationenkonflikt gerne ein weiteres Mal durchstehen, wenn ihnen der erwachsene dafür erspart bliebe). Sie fragt sich, was sie in ihrer Erziehung falsch gemacht hat, dass es so weit gekommen ist – und weiß doch im gleichen Moment, dass sie selbst damit gar nichts zu tun hat. Denn ein Generationenkonflikt, weil die Weltwirtschaftslage zu Zeiten des finanziellen Flüggewerdens sich zu Ungunsten des Nachwuchses entwickelte und nun Flexibilität in allen Lebensbereichen verlangt – der ist neu.
Mit ein wenig Fantasie fällt es nicht schwer, die Eltern zu verstehen. Klar, dass es ihnen zu schaffen machen muss, wenn das Leben der Kinder nicht ganz so glatt und stromlinienförmig verläuft, wie sie es sich erträumt haben. Damals, als sie in lauen Sommernächten auf der Terrasse ihres Reihenhäuschens in den Sternen die Zukunft ihres Nachwuchses ergründeten. Um ehrlich zu sein: Hätte ich Kinder, mir würde es vermutlich genauso gehen.
Aber, liebe Eltern. Auch wenn unser Leben nicht perfekt ist, wir manchmal jammern und wir ab und an im Geheimen für ein paar Tage gerne so leben würden wie ihr: Keine Angst – wir finden unseren Weg; sind sogar schon ein ganzes Stück darauf gegangen. Es mag nicht der sein, den ihr für uns ausgesucht habt. Aber wir sind stolz darauf. Ist ja schließlich unserer.
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Vielleicht ist es vermessen, euch um Folgendes zu bitten: So wie wir versuchen, euch zu verstehen, eure Eigenarten und Spinnereien, könntet ihr auch versuchen, uns zu verstehen?! Zumindest ein wenig. Ein Vorschlag für den Anfang: Brecht aus euren alten Denkmustern aus, vielleicht zunächst testweise, und werdet dabei gleichzeitig zu reinen Kopfmenschen. Sorgt euch weniger um uns. Seid für uns da, wenn wir euch brauchen (und seid sicher, wir brauchen euch immer wieder!). Aber macht euer Leben nicht derart abhängig von unserem, dass ihr selbst keine Freude mehr habt, weil wir unsere eigenen Lebensentwürfe leben. Dadurch belastet ihr nämlich nicht nur euch selbst. Ihr belastet auch uns und macht unser Leben ein großes Stück schwerer – und genau das wollt ihr doch nicht, oder…?!?
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